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Micha Brumlik: Unverwechselbar einzeln

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Der Erziehungswissenschaftler und Philosoph Micha Brumlik war ein Intellektueller, wie es zu jeder Zeit nur wenige gibt. Nun ist er mit 78 Jahren gestorben.

Er war großzügig, mit seiner Klugheit und seiner Belesenheit, er teilte sie gern. Gnosis, Kant, Freud, Judentum, Rechtspopulismus, DDR – er war nicht nur umfassend gelehrt und aktuell informiert, was nun mal nicht dasselbe ist, er war auch verlässlich zur Stelle. Wenn man Micha Brumlik um seine Einschätzung bat, auch abends, hatte er Zeit. Hatte er keine, rief er zurück.

Was war seines Erachtens von den Vorwürfen zu halten, Kant sei ein Rassist gewesen? Wie hatte die DDR die NS-Geschichte und den Holocaust verarbeitet? Wie verstand er das Denken des Theoretikers Achille Mbembe, dem man Antisemitismus vorwarf? Wer war in seinen Augen ein Jude? 

Von Micha Brumlik durfte man jene Präsenz erwarten, ohne Honorar, auf die man im Journalismus angewiesen ist. Er hat einmal geschrieben, Intellektuelle seien jene “unverwechselbaren Einzelnen”, die sich “jenseits ihrer eigentlichen Berufe (…) eine Zuständigkeit fürs gesellschaftliche Ganze zutrauen und dies mit Anspruch auf Wahrhaftigkeit öffentlich vertreten”. In diesem Sinne war Micha Brumlik – geboren in Davos als Sohn von Holocaust-Überlebenden, ein in Jerusalem studierter Philosoph, in Frankfurt am Main Leiter des Fritz Bauer Instituts und Professor für Erziehungswissenschaften – ein Intellektueller, wie es zu jeder Zeit nur wenige gibt. Er stand für die Öffentlichkeit zur Verfügung, ohne seine Auffassungen ins Schlichte umzubiegen. 

Biblisch und kantianisch, je nachdem

Wer gern in rechts und links sortiert, war bei Brumlik falsch. Er saß von 1989 bis 2001 im Frankfurter Stadtparlament als Mitglied der Grünen-Fraktion, seit 1991 als Parteiloser, denn da trat er bei den Grünen aus, als die ablehnten, Flugabwehrraketen an Israel zu liefern. Brumlik würdigte den liberalen Zionisten Omri Boehm für dessen Utopie eines gemeinsamen Staats für Juden und Palästinenser mit dem Argument, dass eine Zweistaatenlösung aufgrund der Besiedlung des Westjordanlands durch Hunderttausende von Israelis faktisch unmöglich sei. Und notierte nebenbei, dass jener israelkritische Mbembe zu Unrecht des Antisemitismus betrachtet werde.

Brumlik argumentierte biblisch und kantianisch, je nachdem, er zitierte an Weihnachten in der taz aus dem Buch Exodus: “Einen Fremdling sollst du nicht bedrängen, (…) seid ihr doch selbst Fremde gewesen im Land Ägypten”, und er wünschte sich Europa deshalb als einen “Kontinent der Ankunft”. Zur Debatte um Kant vermerkte er, ja, der Königsberger habe rassistische Vorurteile gehabt, doch sei er ein Gegner von Leibeigenschaft und Sklaverei gewesen, ein Kritiker der kolonialen Expansion europäischer Staaten. Und Freud, über den Brumlik eines seiner zahlreichen Bücher schrieb, war für ihn zugleich ein jüdischer Wissenschaftler, Humanist und Atheist, ein Denker des 20. Jahrhunderts, dessen Werk zur “demokratischen Selbsterbauung” nicht tauge. Während Brumlik seinerseits über den menschlichen Traum, sich selbst erlösen zu können, kritisch nachdachte.

November days: Am 4. November war der Geburtstag des jüdischen Demokraten und Humanisten Micha Brumlik, der 9. November ist jener Tag, an dem 1918 die Republik ausgerufen wurde, 1938 die Synagogen brannten und 1989 die Mauer fiel. Am Tag nach diesem 9. November ist Micha Brumlik nach langer Krankheit im Alter von 78 Jahren gestorben. 

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