Liebe Leserin, lieber Leser,
die
meisten Menschen gehen in den Mojo Club, um dort zu feiern. In der
vergangenen Woche war es anders: Auf der Tanzfläche standen
Klappstühle, an der Bar wurde Kaffee serviert, statt Funk und Soul
lief auf der Bühne nur PowerPoint.
Erstmals
fand in dem Club an der Reeperbahn die Konferenz AI Media Leaders
statt, bei der über den Einfluss von künstlicher Intelligenz auf
die Kultur- und Medienbranche diskutiert wurde. Veranstalter war Next
Media Hamburg,
ein Bündnis der Kulturbehörde und verschiedener Verlage, das den
Medienstandort Hamburg stärken will. Auch der Zeitverlag ist an Next
Media Hamburg beteiligt.
Ich
möchte Ihnen von zwei Dingen berichten, die auf der Konferenz
besprochen wurden. Erstens, die Zukunft der Demokratie. Zweitens,
Leberwurst.
Fangen
wir mit der Leberwurst an: Mitte November hat OpenAI, das Unternehmen
hinter ChatGPT, in
Deutschland einen
Gerichtsprozess verloren. Die
Kläger hatten gezeigt, dass ChatGPT auf Bestellung Songtexte
ausspuckte, die verdächtig nach großen Hits klangen. Etwa nach
Atemlos
durch die Nacht oder
In der
Weihnachtsbäckerei. Die
Texte dieser Songs waren benutzt worden, um ChatGPT zu trainieren,
das leugnete vor Gericht niemand. Die Streitfrage war, ob OpenAI die
Künstlerinnen und Künstler dafür entlohnen muss. Ja, sagte das
Landgericht
München – und verurteilte
OpenAI zur Zahlung von Schadensersatz.
Ob
das Unternehmen zahlen wird oder in Berufung geht, ist noch offen,
aber das Urteil wurde in der Kulturszene mit Erleichterung
aufgenommen.
Was ChatGPT produziere, sei “wie Leberwurst”, sagte Florian Drücke
vom Bundesverband Musikindustrie auf der Konferenz im Mojo Club: “Wir
wollen wissen, was da drin ist, und wir wollen finanziell beteiligt
werden.”
Das
ist leichter gesagt als getan. Es geht schon damit los, dass die
Leute von OpenAI nicht um Erlaubnis gefragt hatten, ob sie die
Songtexte von Helene Fischer und Rolf Zuckowski an ihre KI verfüttern
dürfen. Sie haben es einfach gemacht.
Kommen
wir zur Zukunft der Demokratie. Der Neurowissenschaftler Henning Beck
warnte vor einer Vereinzelung der Menschen durch KI. Jeder von uns
habe die Neigung, sich für etwas Besonderes zu halten, sagte er.
Wieso sollten wir also auf Instagram alle derselben Kim Kardashian
folgen, wenn dank KI doch längst jede und jeder von uns eine eigene
Kim Kardashian haben könnte, die noch dazu alle unsere Messages
umgehend beantwortet?
Während
eine Armee aus
354 Millionen
Kardashian-Klonen vielleicht noch verkraftbar wäre (vorausgesetzt,
das Original wird vorher gefragt und entlohnt), wird diese
Vereinzelung zur Gefahr, wenn es nicht um Promis geht, sondern um
Journalismus, Politik und das Gemeinwohl.
Christian
Kroll, der Gründer der Suchmaschine Ecosia, warnte: “In zehn Jahren
werden wir zurückschauen und denken: ›Oh, wow, KI hat unsere
Gesellschaft ganz schön verändert!‹ So, wie wir das heute schon
über Social Media denken.”
Ich
hoffe sehr, dass dieser Newsletter auch in zehn Jahren keine
personalisierte Leberwurst ist. Sondern, dass unsere Redaktion heute
und in Zukunft Nachrichten präsentiert, die uns alle betreffen. Und
dass wir weiterhin alle miteinander diskutieren, was diese
Nachrichten für unser Zusammenleben in Hamburg bedeuten.
“Medienunternehmen
sind
nicht bloß Unternehmen”, sagte
die Ingenieurin Kenza
Ait Si Abbou Lyandini, “sie sind Demokratie-Infrastruktur.”
Ich
wünsche Ihnen einen schönen Tag!
Ihr
Oskar
Piegsa
WAS HEUTE WICHTIG IST
Das Internationale
Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) ist mit dem Marion-Dönhoff-Preis
für internationale Verständigung und Versöhnung geehrt worden. Die
Organisation werde für ihre Verdienste als Wächter über das
humanitäre Völkerrecht ausgezeichnet, erklärte die Jury. Seit
seiner Gründung setze sich das IKRK in beispielloser Weise für die
Opfer von bewaffneten Konflikten ein. Die Jury hob die Unterstützung
bei der Freilassung der israelischen Geiseln und beim Austausch
palästinensischer Häftlinge hervor.
Laut einer Studie des
Instituts der deutschen Wirtschaft fehlen in Hamburg in diesem
Jahr 4.700 Kita-Plätze. Damit gehen in dem Bundesland 8,9
Prozent der Kinder, für die es Bedarf gibt, leer aus. In
Schleswig-Holstein liegt die Quote bei 13,4 Prozent, in Niedersachsen
bei 16,3 Prozent
Ein Unfall in Heimfeld
hat am Samstagabend einen ungewöhnlichen Ausgang genommen. Wie ein
Polizeisprecher sagte, waren gegen 17.30 Uhr auf der B73 zwei Autos
an dem Crash beteiligt. Zeugen berichteten der Polizei, dass einer
der Fahrer anschließend ausstieg und sich im Kofferraum versteckte.
Als Einsatzkräfte den Mann dort fanden und überprüften, ergab sich
ein Verdacht auf Unfallflucht sowie der Verdacht, dass er sich
illegal in Deutschland aufhält. Außerdem besitzt er nach Angaben
der Polizei keinen Führerschein.
In aller Kürze
• Die durch eine Schiffskollision beschädigte Freihafenelbbrücke
bleibt bis mindestens Ende des Jahres gesperrt •
Der FC St. Pauli verliert mit 1:3 gegen den FC Bayern •
Der Hamburger SV gewinnt gegen den VfB Stuttgart in Unterzahl
mit 2:1 • Bei einem
Wohnungsbrand in einem Mehrfamilienhaus in Rahlstedt sind am
Samstagabend sieben Menschen verletzt worden
AUS DER HAMBURG-AUSGABE
Es ist Feuer drin
Die
Begeisterung für den Hamburger SV ist so groß wie nie. Doch warum
schlägt die Leidenschaft immer wieder um in Gewalt? ZEIT-Redakteur
Christoph Heinemann war unterwegs in der Fanszene; lesen Sie hier
einen Auszug aus seiner Reportage.
Der
letzte Angriff läuft, die 97. Minute im Volksparkstadion, der
Hamburger SV liegt 0:1 hinten, als Abwehrspieler Miro Muheim eine
scharfe Flanke vors Tor schlägt. 57.000 Erwachsene, Kinder und
Jugendliche sehen zu.
“MAAAACH”,
ruft ein Mann auf der Osttribüne, sein Sohn presst sich die Hände
an die Wangen. Das Maskottchen Hermann geht in die Knie. Auf der
Nordtribüne, wo die treuesten Fans stehen, wehen mehr als 50 Fahnen,
eine Trommel poltert. Unter dem Dach der Arena bricht Flutlicht durch
feinen Nebel, hellgrau wie Weihrauch in der Kirche.
Und
wenn die HSV-Gemeinde, wie an diesem Bundesliga-Spieltag am 8.
November gegen Borussia Dortmund, gemeinsam betet, scheint es, als
wäre alles friedlich. Doch im Mittelrang steht der Polizist
Christian Hölzemer mit einem Fernglas und bangt, dass keiner die
Nerven verliert. “Ich will keine Verletzten oder gar
Schwerverletzten”, sagt er, aber das drohe jederzeit.
Der
HSV hat 140.000 Mitglieder, ist damit einer der 20 größten
Sportvereine der Welt, weit hinter Bayern München, aber vor Real
Madrid. Die Zahl der Fanklubs hat sich seit 2018 verdreifacht. 2.600
Gruppen sind es aktuell, in 39 Ländern, in Städten wie Buenos
Aires, Casablanca, Chicago oder Shanghai. Als neulich an der
Zugspitze, auf 2.960 Meter Höhe, das Gipfelkreuz ausgetauscht wurde,
fand man daran ganz oben: einen Sticker mit der HSV-Raute.
Die
meisten Fans sind friedlich, aber nicht alle. Im Februar 2024 zeigten
die HSV-Ultras, auch “aktive Fanszene” genannt, eine Choreografie
im Volksparkstadion: “Ganz Hamburg hasst die Polizei”, stand da.
Ein Banner zeigte einen Polizeihelm, aus dem Blut tropft. Weil man
das als Aufruf zur Gewalt sehen musste, durchsuchte die Staatsmacht
die Räume der Ultras im Stadion. Beim nächsten Heimspiel verbrannte
ein Vermummter in der Kurve eine Polizeiuniform.
Und
schließlich, im Januar 2025, sorgte ein Video bundesweit für
Entsetzen: Es zeigt, wie
vermummte HSV-Anhänger vor dem Lokal “Rutsche” auf Fans des 1. FC
Köln einprügeln (Z+), ältere Männer und Frauen, die sich aneinanderklammern, während
Schläge auf ihre Hinterköpfe knallen. Ein Mensch wird dabei schwer
verletzt.
Wie
solche Fälle die Debatte um ein mögliches Gewaltproblem beim
Fußball befeuern,
lesen
Sie weiter in der ungekürzten Fassung auf zeit.de.
DER SATZ
“Deutsche
Geschichte unterhaltsam darstellen und dabei selbst gut aussehen,
also unbelastet wirken zu wollen – das kann nicht gut gehen.”
Das
Deutsche Schauspielhaus wollte mit einer Gala sein 125-jähriges
Bestehen feiern – und verursacht dabei einen Theaterskandal, den der ZEIT-Autor Peter Kümmel hier einordnet (Z+).
DAS KÖNNTE SIE INTERESSIEREN
In
der Reihe “Zukunft
der Demokratie #9” am Schauspielhaus hat Lukas Bärfuss am Donnerstag den israelischen
Hochschullehrer und Philosophen Omri Boehm zu Gast. Boehm entwirft
eine Philosophie der Gleichheit, die nicht vor Staatsräson und
kulturellen Tabus haltmacht. Er plädiert für ein universales
Menschenrecht, das keinen Interessen, keinem ethnischen Nationalismus
geopfert werden darf.
“Demokratie
und Gedächtnis”, 4.12., 19.30 Uhr; Schauspielhaus, Kirchenallee 3,
Tickets
erhalten Sie hier
MEINE STADT
HAMBURGER SCHNACK
Hauptbahnhof,
Feierabendverkehr. Die Bahnsteige sind brechend voll, ebenso die
Züge. Bei der S-Bahn auf Gleis 4 schlägt das Signal zum Schließen
der Türen in nervöses Piepen um. Aus dem Lautsprecher brüllt es:
“Nicht die Türen aufhalten!” Es piept noch ein paar Minuten. In
den Türen raschelt es aufgeregt, und endlich schließen sie sich.
Aus dem Lautsprecher kommt etwas resigniert: “Hamburg bedankt sich
für die Verspätung.”
Gehört
von Gesa Fischer
Das war
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