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“Polizeiruf” Rostock: Wenn ich Jesus wäre

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Ein Unbekannter stiftet Jugendliche im Internet zu Mord und Suizid an. Der Rostocker “Polizeiruf” ist ein bemerkenswerter Film und eine treffende Gegenwartsbeschreibung.

Geht doch. Anders als der Tatort Dresden letzte Woche mit der verkürzten Version eines kurzen Thomas-Brasch-Gedichts nimmt sich der Rostocker Polizeiruf: Tu es! (NDR-Redaktion: Philine Rosenberg) Zeit für die Kunst, die er zitiert. Dreieinhalb Minuten lang läuft zu Beginn Frank Sinatras melancholischer Bilanz-Hit It was a very good year von 1965. Das Lied lebt nicht nur von der wohlklingenden Gesangsstimme des Crooners, sondern verdankt seinen Reiz dem komplexen und zugleich anschaulichen orchestralen Spiel dahinter, das zwischen Bläser-Avancen und Streicher-Schmelz hin und her wogt.

Der Film organisiert sich damit bittersüße Gefühle, wenn er dazu in einer Art Auftakt-Rundumschalte das Rostocker Stammpersonal in dunkler Nacht und dramatischem Regen zeigt. Melly Böwe (Lina Beckmann), die im Auto vergeblich versucht, mit der Tochter zu kommunizieren. Frau König (Anneke Kim Sarnau), die im Bürger-Treff den schwierigen Kontakt mit ihrem Vater (Wolfgang Michael) sucht. Chief Röder (Uwe Preuss), der noch im Büro über allem wacht wie ein gütiger Vater, während Averell Pöschi (Andreas Guenther) sich mit einer Sexarbeiterin, in die er verliebt ist, im Bett vergnügt. Viel Regen, viele Schatten, Spiegelungen und Silhouetten (Kamera: Hanno Lentz).

Und am Ende der Schnittfolge sitzt Everybody’s Volker (Josef Heynert) in ungemütlicher Nachtfahrt am Steuer und ist die ärmste Sau von allen. Ihn erreicht der Anruf vom Chef, der die Bitte um Amtshilfe bei einer Vermisstensuche weitergibt. Und auch wenn sich Volker kurz sträubt, fragt er am Ende doch bockig-vorwurfsvoll-ich-mach-ja-schon-verschluckt: “Adresse?”

Der Einsatz geht nicht gut aus. Eine junge Lara (Samara Fry) ist mit Waffe in den Wald gelaufen und schießt erst ausgerechnet Volker an, der den Rest der Folge im Krankenhaus verbringt, und bringt sich dann selbst um. Ein Insert sagt “Vier Wochen später”, und wieder sitzt ein jugendlicher Leon (Karl Seibt), dem die Probleme ins Gesicht geschrieben stehen, in der Straßenbahn. Und auch der schießt eine ihm unbekannte Frau tot und suizidiert sich.

Erzählt wird die zweite Tat hinein in die Befragung des Lehrers Felix Lange, der beide, Lara und Leon, aus einem Internetforum kannte und nun im Verdacht steht, unter dem Alias “Wintersonne” die labilen Jugendlichen dazu manipuliert zu haben, sich selbst und andere umzubringen. Sebastian Jakob Doppelbauer spielt diesen Felix Lange auf sehr eigene, janusköpfige Weise, also brillant. Als großen Idealisten, der Zusammenhalt im analogen Leben predigt und Programme zur Jugendarbeit entwickelt einerseits. Und andererseits ist er eine schwer berechenbare, gekränkte Seele mit dementer Mutter im Pflegeheim, droht dort der Stationsschwester, den Laden anzuzünden, wenn sich nicht besser gekümmert wird.

Tu es! ist ein außergewöhnlicher ARD-Sonntagabendkrimi, weil die Geschichte so tänzerisch ineinander gewunden ist wie das orchestrale Arrangement aus dem Sinatra-Song (Drehbuch: Florian Oeller). Es geht nicht einfach stur von A nach B zu C, sondern in Ellipsen und Abschweifungen in einer klug verwickelten Form voran, die von der repetitiven, grafischen Musik Bert Wredes unterstützt wird. Und inszenatorisch eben fast musikalisch-dynamisch aufgelöst wird (Regie-Debüt im Polizeiruf: Max Gleschinski).

Im Hintergrund raunt schemenhaft eine Schweinerei auf hoher Ebene, die mit dem Schmerz von Melly Böwe über eine Vergewaltigung in jungen Jahren verbunden ist: Ein Staatsanwalt (Thorsten Merten), der sich im Auftrag einer sinistren Gestalt in die Ermittlungen einmischen will. Was genau vor sich geht, wird wohl erst in einer der nächsten Folgen enthüllt, weil am Ende auch die Person hinter dem “Wintersonne”-Account ein Rätsel bleibt.

Will im Auftrag einer sinistren Gestalt Einfluss auf die Ermittlungen nehmen: Staatsanwalt Jan Jürgens (Thorsten Merten)

Lange versucht der Film zu beweisen, dass es sich dabei um Felix Lange handelt. Im Finale wechselt der Polizeiruf dann aber die Spur, um Spannung auf andere Weise zu beschleunigen. Lehrer Lange geht mit Sprengstoffweste in seine Schule, um sich auf dem Klo in die Luft zu sprengen. Verhindert wird das im letzten Moment von Melly Böwe, die gemeinsam mit Frau König die Tür zum Klo aufbricht und mit einem Feuerlöscher die Sprengvorrichtung lahmlegt. Eine bemerkenswert choreografierte Actionszene, die durch den Löschschaum zudem im Bild was hermacht.

Im Epilog hält Lange einen markanten “Scheiß auf alles”-Monolog. Der macht aus einem Polizeiruf, der angefangen hat als Sorge um Kinder, die von sadistischen Menschen digital in den Tod getrieben werden, eine Gegenwartsbeschreibung. Die ist abstrakt genug, um sich von den klassischen “Themen”-Filmen auf dem Sendeplatz zu unterscheiden, in denen ein medial diskutiertes Problem plump wiedergekäut wird.

Der gestresste Idealist Lange ist eine Figur aus eigener Kraft, die vor dem Druck des Alltags und der Unsicherheit übers Morgen kapitulieren will in die Selbstzerstörung. Dazu macht Tu es! selten genug im ARD-Sonntagabendkrimi, sogar Klassenunterschiede deutlich. Vor dem Amoklauf tritt dem Lehrer eine schnöselige Schülermutter gegenüber, die in ihm nur den Dienstleister ihres Steuergelds sieht – Anspielung auf einen Diskurs, mit dem rechte Spalter die Wut bei ihrer Anhängerschaft hochhalten, indem sie Rundfunkgebühr oder Steuerzahlungen als vermeintlich persönliche Investitionen labeln.

Und nach dem Verhör wird, in einem krassen Akzent, Felix Lange dann auf dem Revier erschossen. Vom Witwer der von Leon getöteten Frau, der weniger aus tief empfundenem Schmerz handelt. Vielmehr ist dieser Sandro Färber (Jan-Peter Kampwirth) ein reicher Mann, der gewohnt ist, zu bekommen, was er will und sich deshalb über das Gesetz stellt.

Man darf gespannt sein, wie es weitergeht. Tu es! ist ein Film, der schwer festzulegen und trotzdem unmittelbar verständlich ist. Das macht ihn selbst am Rostocker Schauplatz besonders.

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